Zeichenstück

Charakterstück, ein Begriff, der nicht sehr genau definiert ist und für eine breite Palette von Klaviermusik des 19. Jahrhunderts verwendet wird, die auf einer einzigen Idee oder einem Programm basiert. Der Begriff wird seltener für Musik für ein anderes Instrument (niemals Stimme) mit Klavierbegleitung verwendet, aber für größere Ensembles sehr selten.

Charakterstücke sind ein Grundbestandteil der romantischen Musik und sind wesentlich für das Interesse dieser Bewegung an der Hervorhebung bestimmter Stimmungen oder Momente. Was die Charaktere unterscheidet, ist die Besonderheit der Idee, auf die sie sich berufen. Viele Charakterstücke sind in ternärer Form komponiert, aber diese Form ist im Genre nicht universell. Ein gemeinsames Merkmal ist ein Titel, der die beabsichtigte Figur ausdrückt, wie Stephen Hellers Voyage autour de ma chambre („Reise um mein Zimmer“), ein frühes Beispiel für das Genre, oder Bruckners Abendklänge („Abendharmonien“). Andere Charakterstücke haben Titel, die auf Kürze und Einzigartigkeit des Konzepts hindeuten, wie Beethovens Bagatellen oder Debussys Préludes oder gelegentliche Konstruktion: Der Titel Impromptu ist üblich. Viele Nocturnes und Intermezzi aus dem 19. Jahrhundert sind ebenfalls Charakterstücke, darunter auch die von Chopin bzw. Brahms.

Geschichte
Die ersten Erwähnungen des Charakters – in den Titeln der Stücke sind bereits im 18. Jahrhundert zu finden, beispielsweise in Beethoven, der die sinfonische Ouvertüre „Leonora“ so nannte. Bis in die 1830er Jahre wird der Begriff kaum verwendet, aber mit der Entwicklung der Klaviermusik findet er immer mehr Anhänger dieser Form. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts tauchen viele charakteristische Stücke auf und es besteht die Tendenz, die Bedeutung des Begriffs zu erweitern: Neben der stimmungsvollen Musik beginnt er sich auf die musikalische Beschreibung von Orten, Ereignissen und Charakteren zu beziehen.

Ursprung
Gelegentlich zählen musikalische Allegorien der Barockzeit bereits zu den Charakterstücken. Die Theorie der Zuneigung kombiniert Stimmungen mit musikalischen Stilmitteln. Allerdings handelt es sich dabei immer noch um sehr allgemeine und symbolische Entsprechungen, nicht um den seit dem Ende des 18. Jahrhunderts geforderten individuellen Ausdruck, der durch den Klang des Pianoforte ermöglicht wird.

Eine Verbindung zwischen Barock und Romantik war die musikalische Sensibilität im 18. Jahrhundert: Einige Werke französischer Clavecinisten wie François Couperin oder Jean-François Dandrieu inspirierten norddeutsche Komponisten wie Christian Gottfried Krause, der in seinem Buch Von der musikalischen Poesie Musikstücke empfahl (1753) einen Titel geben. Wichtig war zu dieser Zeit noch die barocke Affekteinheit, die auch für die Arie zutrifft, und das Prinzip der Nachahmung der Natur, wie er von Charles Batteux propagiert wurde. Musik wurde noch nicht als eigenständige Kunst angesehen.

Theoretisches Interesse und Bildungsbedarf um 1800
Ähnliche Ansichten waren noch der Musiktheoretiker Friedrich Wilhelm Marpurg und der Komponist Johann Friedrich Reichardt. Christian Gottfried Körner schrieb 1785 seinen Aufsatz über die Darstellung von Charakteren in der Musik.

Das Bedürfnis nach diesen musikalischen Werken entstand vor allem von Liebhabern und nicht von professionellen Musikern. Für Musikunterricht dienten so genannte Handstücke, die Vorläufer der späteren (Klavier-) Studien des 19. Jahrhunderts.

1784 veröffentlichte Gottlieb Christian Füger charakteristische Klavierstücke für die Darstellung von zwölf Affekten. Die Charakterstücke von Johann Abraham Peter Schulz („Sechs verschiedene Pièces pour le clavecin oder pianoforte“, 1778/79) sind nicht mehr zyklisch verbunden. Die Emanzipation der einzelnen Bewegung war eine Motivation für Komponisten, Charakterstücke zu schreiben. Aber erst der Beginn der Romantik hat neue Bedingungen geschaffen. Ausschlaggebend war in dieser Zeit, dass die Klaviersonate nicht mehr als repräsentatives Genre der Klaviermusik galt. Vielmehr wurde das Prinzip des liedhaften, lyrischen Designs zur neuen Grundlage der Instrumentalmusik dieser Epoche. Das Charakterstück mit seinen poetischen Neigungen ist nun verwirklicht.

Musikalische Poesie im 19. Jahrhundert
Als einer der ersten Vertreter des moderneren Charakterstücks schrieb Johann Wenzel Tomaschek aus dem Jahr 1807 im Verlauf von mehr als 30 Jahren insgesamt zehn Alben mit ausgesprochenen Charakterstücken, meist in dreiteiliger Liedform. Auf die seit 1810/1811 veröffentlichten Eclogues folgten später Rhapsodien. Als späte Variante einer barocken Affektdarstellung kann man noch die charakteristischen Studien für das Pianoforte (1836) von Ignaz Moscheles verstehen. Sie haben Schlagzeilen wie: „Wut, Widerspruch, Zärtlichkeit, Angst“.

Die „Handstücke“ wurden mit der Zeit technisch anspruchsvoller. Hier sind wesentliche Anknüpfungspunkte für die Arbeiten späterer Künstler, darunter Felix Mendelssohn Bartholdys Lieder ohne Worte, Seven Characteristic Pieces op. 7 (1827). Diese stehen im Zeichen ihrer Vorgänger Ludwig Berger und Moscheles. Im Gegensatz zu Mendelssohn fand Franz Schubert seine musikalischen Modelle hauptsächlich in der Vokalmusik.

Bei Robert Schumann wird das poetische Element oft durch Schlagzeilen (Waldszenen, Kinderszenen, Nachtstück, Fantasiestück, Albumseiten …) bestätigt. Die 18 Davidsbündlertänze op. 6 (1837) werden in der zweiten Auflage von 1850/51 nur als Zeichenstücke bezeichnet.

Popularisierung und Prestige-Verlust
Mit der Popularisierung des Charakterstücks in der Popularmusik und dem Aufkommen des Programms Symphonie, Symphonisches Gedicht und der Musik im romantischen Ballett, in der alle Aktionen in größerem Maßstab und größeren Ensembles musikalisch präsentiert werden, verlor das Charakterstück an Bedeutung. Dies wurde umso öfter mit den visuellen Empfindungen der Zeit wie Panorama und Diorama oder dem Lebensbild im Volkstheater kombiniert. Im Gegenzug entstand das Ideal einer absoluten Musik, das von außermusikalischen Bedeutungen „gereinigt“ werden sollte.

Zu den Nachfolgern von Schumann zählten Künstler wie Stephen Heller, Theodor Kirchner (Neue Davidsbündlertänze op. 17, 1872 und Charakterstücke op. 61, 1882) und Adolf Jensen. Das Charakterstück wurde mehr und mehr zu einer Art Vorlage. Später entwickelten Komponisten wie Edvard Grieg ihren eigenen Stil (Hochzeitstag auf Troldhaugen, 1897).

Varianten im 20. Jahrhundert
Claude Debussys Impressionismus entwickelte sich zu einer französischen Tradition des Charakters der Figur (Children’s Corner, Estampes, Images), die von Maurice Ravel, Eric Satie bis Olivier Messiaen reicht.

Ab Ende des 19. Jahrhunderts wurden Salonmusik auch als Charakterstücke bezeichnet. Die Radiomusik des 20. Jahrhunderts nutzte das Charakterstück als touristisches Souvenir (an der blauen Adria von Gerhard Winkler) oder als funktionales Musikstück (The Merry Alarm Clock von Boris Mersson). Der Begriff erhält dabei einen schillernden Charakter und wird oft abwertend verwendet. Bei den Charakterstücken dieser Zeit steht ein überraschender musikalischer Effekt im Vordergrund. Beispiele hierfür sind die St. Petersburger Schlittenfahrt (es gibt Aufnahmen mit Peitschenknallen und Hundebellen) und die Mühle im Schwarzwald (Aufnahmen mit Vogelgesang) von Richard Eilenberg, auf einem persischen Markt von Albert Ketèlbey (Zirkusmusik) der Inbegriff des Orientalischen und Heinzelmänchens Parade von Kurt Noack.

Abgrenzung vom Programm
Es ist nicht immer leicht, die Charakterstücke von der Programmmusik zu unterscheiden. Der Musikwissenschaftler Hugo Riemann hielt „das entzückte Verweilen des Komponisten im Einzeleffekt“ (Handbuch der Musikgeschichte, 1913) für ein charakteristisches Merkmal. Im Gegensatz dazu beschreibt Programmmusik eine ganze Handlung. Der Unterschied zwischen Charakter und Aktion lässt sich am besten in der Poetik von Aristoteles nutzen: Programmmusik beschreibt eine Art Drama oder Epos, während das Charakterstück statisch bleibt und höchstens Kontraste aufweist (wie oft in einem Mittelteil).

Formen
Das Charakterstück ist im Gegensatz zu den Bewegungen einer Sonate oder Suite oft allein, wie Albumblatt, Pièce détachée oder Moment Musical. Einige lyrische Stücke verbinden sich manchmal zu Zyklen, zum Beispiel mit ähnlichen Themen (wie beispielsweise Schumanns Kinderszenen). Als Vorlage dienen Tanz, Lied und Rondoformen, da die Romantik hauptsächlich die Liedformen verwendet.

Die Charakterstücke sind für die Musik der Romantik essentiell und für diejenigen Bewegungen wesentlich, bei denen das Hervorrufen bestimmter Modi oder Momente von Interesse ist. Was die Charaktere unterscheidet, ist die Besonderheit der Idee, die sie hervorrufen. Viele Charaktere sind in ternärer Form komponiert, aber es ist kein universelles Merkmal. Ein gemeinsames Merkmal ist die Absicht, ihnen ausdrucksvolle Titel zu verleihen, wie beispielsweise Voyage autour de ma chambre („Reise um mein Zimmer“) von Stephen Heller, ein frühes Beispiel für das Genre. Andere Charakterstücke haben Titel, die auf Kürze und Einzigartigkeit des Konzepts hindeuten, wie Kleinigkeiten von Beethoven oder Preludes von Debussy oder gelegentliche Konstruktionen: Der Titel Impromptu ist üblich. Viele Nocturnes und Intermezzi sind auch Charaktere, darunter die von Chopin bzw. Brahms.

Große Sets mit vielen individuellen Charakterstücken, die als einzelnes Musikstück gespielt werden sollten, waren nicht ungewöhnlich. Schumanns viele Werke dieser Form (einschließlich Kreisleriana und Carnaval) sind die bekanntesten Beispiele. Im späten 19. und 20. Jahrhundert, als die Klaviermusik ehrgeiziger und umfangreicher wurde, wuchs auch der Umfang, auf den sich ein Charakterstück beziehen konnte. The New Grove nennt Smetanas „Festival der Zigeunerbauern“ und Sibelius „The Oarsman“ als Beispiele für diesen späteren Trend.