Architektonische Endoskopie

Architektonische Endoskopie oder architektonische Inszenierung wird verwendet, um Modelle der Außen- und Innenarchitektur neuer Gebäude in der Planungsphase zu fotografieren und zu filmen. Ein architektonisches Modell eines Neubaus im Maßstab 1: 500 wird somit aus der Perspektive eines Fußgängers auf der Straße richtig visualisiert. Ein mit einer Videokamera verbundenes Endoskop ermöglicht die Erstellung von Walkthroughs, so dass der Architekt den ersten Entwurf weiter entwickeln und die Öffentlichkeit die Vision des Architekten von geplanten Gebäuden und Städten teilen und kritisieren kann.

Nomenklatur
In der Architektur wird das starre Endoskop Relatoskop (Deutsch), Relascop (Französisch), Boroskop usw. genannt. In diesem Artikel wird „Endoskop“ als Oberbegriff verwendet.

Geschichte
Das Endoskop wurde 1806 von Philipp Bozzini erfunden, in der Medizin wurde es verwendet, um in den menschlichen Körper zu schauen. 1954 nutzte der in Paris lebende deutsche Architekt Martin Schulz van Treeck (van Treeck) erstmals Endoskope zur Visualisierung von Architekturmodellen. Die Endoskope waren die seines Vaters, Alfred Schulz van Treeck, Arzt und Pionier der Otoskopie.

1957 veröffentlichte er den ersten Artikel in der Architekturzeitschrift Bauen + Wohnen mit dem Titel „Reale Modellfotografie als neue Darstellungsmethode in der Architekturplanung“ (Reale Modellfotografie als neue Darstellungsmethode in der Architekturplanung).

Bei Architekturwettbewerben ist es üblich, dass zusätzlich zu den Plänen während der Präsentation ein 1: 500-Modell des Gebäudes gezeigt wird. Diese Modelle werden normalerweise aus der Vogelperspektive gesehen und fotografiert. Van Treeck war sich des Problems bewusst, Architekten und Bauherren aus der traditionellen Vogelperspektive zu vermitteln. Seine Idee war es, die Endoskopfotos als Grundlage für Zeichnungen des Modells zu verwenden und diese den Kunden oder der Öffentlichkeit zu präsentieren, um zu zeigen, wie das Gebäude aussehen würde, wenn sie auf der Straße daneben gehen oder fahren würden. Er könnte das Endoskop in einer Fußgängerposition im Modell platzieren. Architekturmodelle im Maßstab 1: 500 oder 1: 100 wurden in Fotos und später in Videos so dargestellt, wie ein Fußgänger das fertige Gebäude sehen würde.

Bekannt wurde das Endoskop bei Architekten und Bauarbeitern durch die Verwendung von van Treeck bei der Planung der Orgues de Flandre Wohngebäude an der Avenue de Flandre im 19. Pariser Arrondissement. Die vier zentralen Wohntürme der Siedlung haben unterschiedliche Höhen und sind in Form von Orgelpfeifen gestaltet. Sie heißen Präludium, Fuge, Kantate und 4, was den Namen Orgues de Flandre („Kirchenorgeln von Flandern“) erklärt. Van Treeck verwendete ein Endoskop für Fotografie und insbesondere Videofilme, auf Modellen im Maßstab 1: 500 bis 1: 100 im Architekturwettbewerb und für die weitere Planung der Orgues de Flandre-Gebäude. Er dokumentierte seine Arbeit von Anfang an mit einem Endoskop.

Auf der Bau- und Architekturmesse Batimat, November 1973 in Paris und Constructa, Februar 1974 in Hannover, stellten van Treeck und eine Firma das Endoskop erstmalig in großem Umfang Mitgliedern der internationalen Architektur- und Baubranche vor. Im Jahr 1974 beschrieb van Treeck in einem Artikel der deutschen Architekturzeitschrift DETAIL das Endoskop und seine Verwendung für das Projekt Orgues de Flandre. Ein französischer Artikel von François Loyer ist online als PDF verfügbar und enthält Endoskopfotos des Orgues de Flandre-Projekts.

Forschung
Im Jahr 1974, nach der Präsentation auf den Messen und den Artikeln in Fachmagazinen, wurde der Einsatz von Endoskopen an internationalen Universitäten im Rahmen von Forschungsprojekten zur Stadtplanung untersucht. Zum Beispiel Architekten und Stadtplaner wie Urban-Designer Carl-Axel Acking aus Lund, Schweden; Donald Appleyard aus Berkeley, Kalifornien, USA; Hendrik van Leeuwen aus Wageningen, Niederlande, und Antero Markelin aus Stuttgart, Deutschland; schon früh den Einsatz von Endoskopen erforscht. Der Schwerpunkt ihrer Forschung lag auf dem Einsatz von Videofilmen in der Stadtplanung. Für Experimente wurde die von van Treeck auf den Messen vorgestellte Simulationsanlage angeschafft und wegen geringer Finanzierung „Modell-Simulations-Systeme“ von den Instituten für weniger Geld gebaut. Dies geschah am Urban Planning Institute der Universität Stuttgart, an dem Antero Markelin lehrte und recherchierte. Das Ergebnis seiner zweijährigen Forschung in Stuttgart 1975-1977 wurde 1979 in dem Buch Umweltsimulation, Sensorische Simulation im Städtebau (Umweltsimulation, Sensorische Simulation im Städtebau) veröffentlicht.

Auf der ersten Konferenz der European Architectural Endoscopy Association (EAEA) im Jahr 1993 an der Technischen Universität Tampere in Finnland wurde der Urban Simulator demonstriert, den die Tampere School of Architecture 1978 aufbaute. Das System sowie die Computersteuerung wurde in erster Linie von den Forschern der Schule entwickelt und gebaut, da die vorhandenen finanziellen Ressourcen sehr gering waren. Petri Siitonen von der Fakultät für Architektur der Technischen Universität Helsinki sprach auf der Konferenz in seinem Vortrag „Die Zukunft der Endoskopie“ über einen Vergleich zwischen der Verwendung von Computer Aided Design (CAD) und Endoskop in Arbeiten von Studenten. Zu dieser Zeit ergab eine Studie, dass die Endoskopie 27 Punkte und CAD 20 Punkte erhielt. Er erwähnte auch, dass sich dies in den kommenden Jahren ändern werde.

Europäische Architectural Endoscopy Association (EAEA)
Die European Architectural Endoscopy Association (EAEA) wurde 1993 gegründet. Das Gründungstreffen fand auf einer Konferenz am Institut für Architektur der Technischen Universität von Tampere in Finnland statt. Es war die erste internationale Konferenz, auf der Experten von fünfzehn Universitäten, die Forschung und Lehre auf dem Gebiet der Visualisierung mit Endoskopen betrieben, ihre Ergebnisse vorgestellt haben. Seither finden jedes zweite Jahr ähnliche Konferenzen statt. Die neunte Konferenz wurde 2009 von der Architekturfakultät der Technischen Universität Cottbus-Senftenberg organisiert. Auf dieser Konferenz vereinbarten die Teilnehmer, den Namen der EAEA zu ändern. Anstelle der Endoskopie würde der Begriff „Vision“ künftig vom Verband verwendet werden. Seit 2015 heißt sie European Architectural Envisioning Association (EAEA). So wurde die rasante Entwicklung von Computerhardware und -software zur Visualisierung von Bauprojekten, vom Einfamilienhaus bis zur Stadtplanung, mit einbezogen. Die Lodz University of Technology (TUL) veranstaltete 2015 die 12. EAEA-Konferenz. Pläne für Konferenzen in Istanbul, der Türkei und Montana im Jahr 2016 und in Glasgow, Schottland im Jahr 2017, wurden 2015 gestartet. Die EAEA-Konferenzen finden jeweils ungerade statt .

Praktische Anwendung
Neben den geförderten Forschungsprojekten an Universitäten werden Endoskope seit 1974 von Fotografen und Videofilmern in Studios für Architektur- und Werbekunden genutzt. Als spezielle optische Instrumente wurden Endoskope Teil der Foto- oder Videogeräte in Fotostudios. In Deutschland beispielsweise wurden sie seit 1974 zur visuellen Untersuchung von Modellen in Ingo Wendes Atelier in Berlin und seit 1975 von Alex Kempkens in München eingesetzt. Zuweisungen von Architekten und Bauherren waren im Allgemeinen, um ihre Modelle mit Großformatkameras und Endoskopen zu fotografieren. Kurzfilme wurden als Videos oder 16-mm-Film produziert. Die Filme wurden im Allgemeinen in größeren städtischen Projekten für Öffentlichkeitsarbeit und öffentliche Information verwendet. Ab 2015 gibt es nur noch wenige Fotostudios, die mit der Endoskopfotografie arbeiten.

Kritik
Van Treeck schrieb darüber, dass mit einem Endoskop ein Modell aus normaler Augenhöhe fotografiert wird.

„Der Sinn der Relatoskopie liegt darin, den Blick des Betrachters auf den Maßstab des Architekturmodells zu justieren und in das Modell auf der üblichen menschlichen Augenhöhe zu bringen. Beim Vergleich von Realität und Simulation durch ein maßstäbliches Modell wird die Glaubwürdigkeit Realität von Relatoskopie ist nachgewiesen. Die Übertragung ist nicht illusorisch, sondern bringt die wesentlichen Informationen über den Körper des Gebäudes und seine räumliche Organisation hervor. “

Die Gegner kontroverser Bauvorhaben wurden nie überzeugt, und sie kritisieren die Methode. Ihre Hauptkritik war, dass die Bilder aus der Perspektive einer Ameise fotografiert wurden. Die Augenhöhe einer 170 cm großen Person beträgt ungefähr 160 cm. Im Maßstab 1: 100 liegt die Augenhöhe eines Fußgängers in einem Modell bei 16 mm (0,63 Zoll) und diese Höhe kann mit einem Endoskop, das vorzugsweise einen Durchmesser von 8 mm (0,31 Zoll) hat, genau beibehalten werden.

Arbeiten mit Endoskopen
Um qualitativ hochwertige Fotos oder Filme zu erzielen, waren starre Endoskope aufgrund der Qualität der Bilder besser geeignet. Ein Beispiel dafür ist das von Harold Hopkins erfundene Stablinsen-Endoskop. Das flexiblere faseroptische Endoskop, Fiberskop oder Flexoskop genannt, aus gebündelten Glasfasern erzeugt nicht die gleiche Bildqualität.

Von Anfang an wurden starre Endoskope für die direkte Betrachtung, Fotografie, Video und Film in der Umweltsimulation und für Innen- und Außenaufnahmen von Modellen verwendet. Endoskope für industrielle Anwendungen, so genannte Boreskope, waren im Wesentlichen die gleichen wie in der Architektur. Speziell entwickelte Boreskope wurden in der Modellvisualisierung temporär eingesetzt. Video und Film benötigten starkes Licht und es wurden Lampen und Scheinwerfer mit hohen Wattleistungen benötigt. In professionellen Fotostudios wurden leistungsstarke Blitzgeräte eingesetzt. Licht, das von optischen Fasersystemen emittiert wurde, die in der Medizin verwendet wurden, wurde selten für Architekturmodelle verwendet.

Das von van Treek auf Messen vorgestellte Modellsimulationssystem erforderte, dass das mit einer Videokamera oder einer Kamera verbundene Endoskop vertikal über dem Modell montiert wurde. Dies war notwendig, weil der Betrachtungswinkel der Optik 90 Grad seitlich war. Das System war komplex und teuer. Bei Verwendung für die Fotografie könnten Endoskope mit unterschiedlichen Blickwinkeln verwendet werden, und die Kamera muss sich daher nicht in einer vertikalen Position über dem Modell befinden.

Modellvisualisierung vor und nach 1995
Beginnend in den frühen 1960er Jahren wurden Forschungen zur Verwendung von Computern in der Architektur durchgeführt und veröffentlicht. Bis 1995 war die Visualisierung eines Modells als Computerbild oder Computeranimation so komplex und teuer, dass es selten eine Alternative zu der kostengünstigeren Endoskopfotografie oder dem Kurzfilm darstellte. Ausnahmen wurden für prestigeträchtige Projekte gemacht, so 1984, als ein Computermodell der Glaspyramide für die Modernisierung des Louvre vom Architekten Ieoh Ming Pei angefertigt wurde.

Beim Umzug der Tampere School of Architecture im Jahr 1995 wurde der 20 Jahre alte „Urban Simulator“ durch ein modernes Endoskopsystem ersetzt. Die neuesten Endoskope, Komponenten und Computer wurden für Kamerasteuerung, Bildverarbeitung und moderne Computermethoden installiert. Das neue Labor wurde auf der Konferenz der EAEA 1997 an der Technischen Universität Delft, Niederlande, vorgestellt. Ab 2015 wird die Endoskoptechnologie zur Visualisierung von Architekturmodellen nur an wenigen Universitäten im Rahmen von Bildung und Forschung angeboten. Dies geschieht nun parallel zur Architekturanimation 2D-, 3D- und VR-Simulation.

Die Entwicklung von Technologie in Computern, Beleuchtung, Software, kabelloser Datenübertragung, CCD-Sensoren, Videoendoskop und mehr war in den Jahrzehnten nach 1995 so rasant, dass sich ein Architekturstudent in den 2010er Jahren kaum vorstellen kann, wie aufwändig Modellsimulation und Visualisierung früher war . Auch die Entwicklung von Endoskopen hat in diesen Jahren von der neuen Technologie profitiert. Ein Beispiel für diese Entwicklung ist das Urban Simulation Laboratory an der Polytechnischen Universität Mailand (DIAP), das 2007 gegründet wurde. Auf der EAEA-Konferenz in Mailand im Jahr 2013 wurde eine Demonstration eines Mini-Autos mit einer Mikrokamera durchgeführt könnte in eine 2.2 cm breite Modellstraße gehen, um ein Video aus der Augenperspektive im Auto aufzunehmen. Die Bilder wurden direkt auf einen Bildschirm übertragen. Das Miniauto wurde per Hand durch das Stadtmodell bewegt. Das früher aufwendige technische Design für Videoaufnahmen war nicht mehr nötig.

Echte Modelle, die von allen Seiten berührt und untersucht werden können, werden weiterhin gebaut. Sie werden für die Ausbildung und die Erfüllung von Kundenanforderungen sowie für die Präsentation von Projekten auf internationalen Immobilien- und Investitionsfachmessen in Europa und weltweit hergestellt. Es gibt immer noch Modelle, die aus der Vogelperspektive in Ausstellungshallen, wie der Expo Real, München oder der MIPIM im Palais des Festivals et des Congrès, Cannes, Frankreich, betrachtet werden können.

Renaissance der Endoskopie
Auf der EAEA-Konferenz 1993 in Tampere sagte Bob Martens: „Eine Renaissance der Endoskopie könnte also zumindest für Standbilder ins Auge gefasst werden“. Er arbeitete auch mit der 3D-Computersimulation, sagte aber, dass die Endoskopie weiterhin Vorteile in der Ausbildung der Studenten habe: „Die Endoskopie ist nicht mit Theorie überladen; die Schüler können das Thema spielerisch angehen“. Er konnte die technische Entwicklung und die Kostensenkung in den Jahrzehnten nach seiner Präsentation nicht voraussehen. Im Sommer 2015 verkauften zwei der größten Einzelhandelsketten in Deutschland Videoskop-Kameras für 60 Euro als „Männerspielzeug“. Gegenwärtig ist es sogar möglich, dass die Studenten ein eigenes Video mit Endoskopen erstellen, um ihre Modelle für eine Präsentation am Ende des Semesters zu visualisieren. Starre Endoskope und zugehörige fotografische Ausrüstung sind ebenfalls erschwinglich geworden. Die Reduzierung der Kosten für den Einsatz von Endoskopen unterstützt die These von Bob Martens, dass es zu einer „Renaissance der Endoskopie“ kommen könnte.

Rezeption
Die Idee von Martin Schulz van Treeck aus dem Jahr 1954 handelte von der Augenhöhe des Fußgängers und der Notwendigkeit, Kunden und Bürgern das Konzept des Designs zu vermitteln. Zu dieser Zeit war ein Endoskop das einzige Werkzeug, um Architekturmodelle aus dieser Perspektive zu fotografieren und zu filmen. Die digitale Revolution steckte noch in den Kinderschuhen und hatte noch keine Werkzeuge (Hardware und Software) entwickelt, um seine Idee zu verwirklichen. Seitdem sind Jahrzehnte vergangen und mit Computern kann die Augenhöhe eines Fußgängers als Foto oder Film problemlos visualisiert werden. Das Endoskop von damals wurde im digitalen Zeitalter durch neue Technologien ergänzt und begründete van Treeks Idee, Designs aus der Perspektive von Fußgängern zu präsentieren.